politische ökologie 75/2002          
Editorial: Schöne freie Zeit  
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Noch nie schien uns das Paradies so greifbar wie heute. Wir wollen jetzt in Urlaub fahren, jetzt den Kinofilm sehen, jetzt den Berggipfel erklimmen. Wer sein Leben lang nur schuftet, verpasst sie vielleicht: die schöne freie Zeit.

Die politische ökologie spürt nach den Optionen, die uns die Freizeit im Leben bietet. Nicht die Arbeit steht im Vordergrund, das ständige Beschäftigtsein, das auf viele Menschen magisch und anziehend wirkt. Vielmehr kommt der Müßiggang zu Wort, das stille Genießen frei von Zweck und Ziel. Häufig belächelt als faule Daseinsform wird die gesellschaftliche Bedeutung der Muße unterschätzt, vertritt sie doch eine maßvolle Lebens- und Wirtschaftsweise und ist daher hochinteressant. Aber auch andere FreiZeiten haben es schwer sich durchzusetzen: zum Beispiel das Sabbatjahr, ein Produkt der flexiblen Arbeitszeiten. Arbeitsstunden ansparen und dann ein Jahr raus aus dem Job, reisen, Sprachen lernen, ein Buch schreiben - nicht regenerieren, sondern sich persönlich entfalten.

Die Freizeit als Schatten der Arbeit ist ein Liebling der Gesellschaft. Fernseher und Computer, Mountainbikes und Inline Skates, Wochenendausflug und Urlaubsreise halten nicht nur die Wirtschaft am Laufen, sondern auch den Menschen - sein Bedürfnis zu erleben und neue Eindrücke zu sammeln. Immer schon haben Menschen nach Grenzerfahrungen gesucht, getrieben von der Lust sich auszuprobieren und der Langeweile des Alltags zu entfliehen. Die Trekkingtour bei eisigen Temperaturen ist ein Beispiel, ein anderes der Bungeesprung. Stellt sich der Mensch beim ersteren den unberechenbaren Kräften der Natur, bewegt er sich beim letzteren in einer künstlichen Kulisse.

Während sich das Unterwegs- und Aktivsein im Alltag meistens auf die eigene Region begrenzt, suchen die Erlebnishungrigen im Urlaub nach unbekannten, am liebsten unberührten Räumen. Das Interesse am Fremden kann dabei Positives bewegen: Wenn die TouristInnen die kulturellen und natürlichen Eigenarten wertschätzen, gewinnen sie auch in den Augen der Einheimischen an Bedeutung. Erst hierdurch entsteht der Reiz, authentische, das heißt sozial- und umweltverträgliche Tourismusangebote zu entwickeln.

Bewegung - nicht nur sportlicher Natur - tut gut und gibt Sinn. Das zeigen die vielen ehrenamtlich Engagierten, die für sich und das Gemeinwohl aktiv sind. Dieses Engagement, die Freizeit überhaupt machen nur deshalb Spaß, weil der Mensch sie freiwillig wählt. Wir bestimmen über Sinn oder Unsinn, Ruhe oder Event, Engagement oder Faulsein. Die politische ökologie will nicht Arbeit sein, aber neugierig machen auf das Paradies, das Mensch und Umwelt zusteht: Freizeit.

Anja Wirsing