punkt.um 10/2001          
Ehrenamt - Engagement nach Maß  
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Ob Naturschutzprojekt oder freiwillige Feuerwehr - ehrenamtliche Mitarbeit genießt einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Doch das Ehrenamt wandelt sich: Die Zahl an Aktiven nimmt in Vereinen und Verbänden kontinuierlich ab. Freiwilligenagenturen entstehen, die mit einem neuen Verständnis des Ehrenamtes arbeiten.

„Unsere Strukturen sind derzeit darauf ausgelegt, dass Menschen zu uns kommen, die sich langfristig engagieren wollen. Wir brauchen aber sehr viel stärker eine Offenheit für diejenigen, die weniger langfristiges Engagement suchen, denen Vereinsstrukturen egal sind“, erklärte Angelika Zahrnt, die Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), im Interview gegenüber der „taz“.

Gemeinnützige Initiativen leiden unter der schwindenden Bereitschaft ihrer Mitglieder, aktiv im Vereinsgeschehen mitzuwirken. Zählt heute nur das individuelle Glück? Diese Befürchtugn trifft nicht zu, wie die erste bundesweite Studie zum Ehrenamt (Freiwilligensurvey) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1999 ergeben hat: 34 Prozent aller BürgerInnen ab 14 Jahren sind in Deutschland ehrenamtlich engagiert. Das sind etwa 22 Millionen Menschen. Die Mitgliederzahlen sinken trotzdem, denn der gesellschaftliche Wandel hin zu mehr Flexibilität und individuellem Leben betrifft auch das freiwillige Engagement. Die Devise lautet heute: spontan agieren ohne langfristige Bindung an eine Organisation; nicht selbstlos engagieren, sondern etwas geben und empfangen. Eine offenere, modernere Form des Ehrenamtes ist gefragt, die sich im Begriff „Freiwilligenarbeit“ ausdrückt - ein Engagement, das keiner spezifischen Idee folgt und sich unabhängig von Vereinen, Verbänden und traditionellen Wertgemeinschaften bewegt, das aus Kontakt- oder Selbstverwirklichungsgründen betrieben wird.

Agenturen als Pioniere

Pilotprojekte, die eine moderne Form der Freiwilligenarbeit entwickeln, existieren bereits. Ein Beispiel in Deutschland sind Freiwilligenagenturen - inspiriert durch Vorbilder in den Niederlanden, Großbritannien und den USA. Sie bieten das, was die heutigen Freiwilligen wünschen: eine unabhängige Form des Engagements. Die Freiwilligenagenturen kommen individuellen Wünschen entgegen, indem sie ein klares Profil des Interessenten erstellen: Zeitaufwand, Wunschort, Interessen, Fähigkeiten und Vorstellungen. Nach diesen Kriterien suchen sie einen passenden Freiwilligendienst aus. Sie versuchen also, eine optimale „Passung“ zwischen den Interessen der Engagierten und den Anforderungen der Organisationen herzustellen. Was bisher noch nicht jede Agentur leistet, aber für die zukünftige Positionierung eine große Rolle spielt, ist das breite Angebot freiwilliger Tätigkeiten: Kultur, Soziales, Umwelt, Gesundheit, Sport und Politik. Häufig sind Freiwilligenagenturen noch in alten Strukturen verankert, wenn beispielsweise die Trägerschaft bei einem Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege liegt. In diesen Fällen konzentriert sich das Angebot stark auf den sozialen und kirchlichen Bereich. Eine umfassende Engagementförderung lässt sich auf diese Weise nicht verwirklichen.

Interessen stärker vertreten

Nach dem Freiwilligensurvey wären 20 Millionen Menschen bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren. Von ihnen möchte die Mehrzahl (56 Prozent) besser über ehrenamtliches Engagement beraten und informiert werden - ein großes Potenzial für Freiwilligenagenturen. Allerdings stehen die Agenturen noch im Schatten des konventionellen Ehrenamtes: Die Vermittlungsrate ist relativ gering und die Lobbyarbeit für eine lokale Engagement-Kultur kommt häufig zu kurz. Internationale Vergleiche zeigen, dass Freiwilligenagenturen nur mit öffentlicher Unterstützung sowie einer starken Interessenvertretung auf Bundesebene an Qualität gewinnen. Zwar besteht seit 1998 die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (BAGFA). Geringe finanzielle und personelle Ressourcen verhindern jedoch, dass sie sich zu einer professionellen Ansprechpartnerin für Politik, Medien und internationale Organisationen entwickelt. Vielleicht gelingt es dem Internationalen Jahr der Freiwilligen 2001, dieser Diskussion auf die Sprünge zu helfen.

Anja Wirsing