Frankfurter Rundschau, 25. September 2001          
Nicht nur das Haus im Grünen  
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Andres Feldtkeller (Hrsg.): Städtebau: Vielfalt und Integration. Neue Konzepte für den Umgang mit Stadtbrachen, Deutsche Verlags-Anstalt: Stuttgart, München 2001.

Stadtbrachen sind Bruchstellen in der Geschichte der Stadt. Wo früher Fabriken und Kasernen standen, Post und Eisenbahn ihre Gebäude hatten, machen sich heute - nach der Hochzeit der Industrialisierung - Freiräume breit. Diese Flächen bieten die Chance, neue Stadtquartiere zu schaffen und die Stadt nach innen zu entwickeln. Tübingen zum Beispiel hat diese Chance genutzt und gezeigt: Für Monostrukturen wie Reihenhaussiedlungen, Büro- und Gewerbeparks sind Stadtbrachen zu wertvoll. Das Buch „Städtebau: Vielfalt und Integration“ berichtet über die erfolgreiche Entwicklungsmaßnahme auf dem ehemaligen französischen Kasernengelände in der Tübinger Südstadt.

„Stadt ist laut, schnell, auf- und anregend, überraschend, befremdent, aber auch heimelig, vertraut und sicher“, schreibt der Stadtsoziologe Jens Dangschat im Abschlusskommentar des Buches. Das, was Stadt immer schon sein wollte - lebendig, vielfältig, dicht - hat Tübingen auf der Stadtbrache realisiert. Ein Quartier ist entstanden, das Wohnen und Arbeiten verbindet und Raum für Menschen unterschiedlichster Kulturen und Lebensstile bietet. Das Projekt macht Lust in der Stadt zu wohnen und antwortet damit auf die städtischen Nöte, die auch die Studentenstadt Tübingen kennt: Abwanderung an den Stadtrand, wachsender Verkehr und räumliche Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen.

Für Andres Feldtkeller, den bundesweit bekannten Kritiker des traditionellen Städtebaus, war die Herausgabe des Buches sicherlich eine Herzensangelegenheit, beteiligte er sich doch als damaliger Leiter des Stadtsanierungsamtes maßgeblich an der Planung. Er liefert den theoretischen Hintergrund zu Stadtbrachen und stellt dar, warum städtisches Leben nur mit neuen Konzepten an Qualität gewinnt. Konkret auf das Projekt gehen andere ein: Andreas Pätz und Cord Soehlke aus dem Stadtsanierungsamt sowie die ausführenden Architekten des Büros Lehen drei. Der sozialen Bedeutung des Projektes spürt die damalige Bürgermeisterin Gabrielle Steffen nach.

Früher prägte die schwierige soziale Mischung das Image der Tübinger Südstadt. Heute ist das Viertel auf für jene attraktiv, die mit einem Haus im Grünen liebäugelten. Warum das Quartier es geschafft hat, sich als ernst zu nehmende Alternative zum Stadtrand zu entwickeln, erklärt Jens Dangschat in seinem abschließenden Kommentar: „Mut zur Offenheit, zur Orientierung nicht am globalen Wettbewerb, sondern an den Interessen des Alltags der eigenen BürgerInnen.“ Diese Freiheit ermöglichte den Architekten, „sich eine Welt auszudenken, in der wir gerne selber zu Hause wären“.

Anja Wirsing