politische ökologie 71/2002          
Architektur erweckt kein Haus zum Leben  
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Menschen und Stimmen überall: auf den Balkonen, in den Laubengängen, im Innenhof. Südländisches Leben lässt sich auch in München-Schwabing finden, an einem außergewöhnlichen und gleichzeitig alltäglichen Ort.

Lachend kommen sie in den Innenhof mit Isomatte und Handtuch unterm Arm, das Ehepaar Hanne und Ahmad Kamali mit ihrem Nachbarn Dieter Liebig. Was gibt es Schöneres, als an einem lauen Sommerabend nach Arbeitsschluss ins kühle Nass zu springen. Gleich um die Ecke liegt das Schwimmbad.

Ob man als Mitglied einer Wohngemeinschaft das sonnige Wochenendfrühstück auf dem Balkon genießt oder sich als Bewohner der Johann-Fichte-Straße 12 spontan mit seinem Nachbarn zum Schwimmen verabredet - beides liegt dicht beieinander.

Weiß getüncht mit offenen Laubengängen und vorgehängten Metallbrüstungen präsentiert sich der Neubau in München-Schwabing. Das Haus ist das vierte verwirklichte Projekt der WOGENO, der Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen in München. Als junge Genossenschaft 1993 gegründet, will sie das verwirklichen, was die Urväter der Genossenschaftsidee auch schon wollten: Lebenslanges Wohnrecht zu langfristig gesicherten Mieten. Als Dachorganisation koordiniert und verantwortet sie die Umsetzung der Projekte und unterstützt die Hausgruppen beispielsweise bei der Finanzierung. Die eigentliche Arbeit, das selbstbestimmte Planen, übernimmt aber die spätere Hausgemeinschaft. Sie muss ihre Vorstellungen für das eigene Zuhause entwickeln und formulieren. Das ist die besondere, aber auch herausfordernde Aufgabe, der sich die zukünftigen Bewohner stellen müssen.

Die Nachbarn sind am wichtigsten

Eine offene Gemeinschaft wünscht sich ein offenes Haus, auch offen gegenüber ökologischen und sozialen Belangen. Der Neubau in der Johann-Fichte-Straße wurde in Niedrigenergiebauweise mit Sonnenkollektoren, Holzleichtbauweise und Regenwassernutzung ausgeführt. Im ersten Stock das Malatelier, direkt darunter der Club Behinderter und ihrer Freunde e.V. (CBF), der zusammen mit der WOGENO das Konzept des integrierten Wohnens vorantrieb - ein Konzept, das auf die Mischung von Wohnen und Arbeiten für Behinderte und Nichtbehinderte setzt.

Renate Geifrig war begeistert von dieser Idee und konnte ihren Traum, letztendlich als einzige im Haus, verwirklichen: Mit dem Rollstuhl im gleichen Haus zu wohnen und zu arbeiten. Die Räume ihrer Psychotherapie-Praxis liegen im Erdgeschoss, sie wohnt mit ihrem Mann einige Stockwerke höher. „Etwas Abstand zur Arbeit muss schon sein“, betont sie.

„Wir wollen unterschiedliche Haushalts,- Lebens- und Nutzungsformen zusammenführen, die im normalen Wohnungsbau separiert sind“, erklärt Peter Schmidt vom Vorstand der WOGENO. Einkommensstarke und -schwache, Behinderte und Nicht-Behinderte, Junge und Alte leben in der Johann-Fichte-Straße zusammen, in 28 Wohnungen, insgesamt etwa 70 Menschen inklusive 25 Kinder. Doch stellt sich die Frage nach dem inneren Zusammenhalt. Wo treffen sich die Interessen der Familien, allein Erziehenden, Singles, Behinderten und älteren Menschen? In der Stadt zu wohnen heißt normalerweise Anonymität, Verzicht auf eigenen Grünraum, Lärm und Stress. Will man mit Kindern in der Stadt wohnen?

Im Innenhof gießt Inge Zschaler-Honndorf ihre Blumen. Sie und ihre Familie haben im Erdgeschoss eine Vier-Zimmer-Wohnung mit Zugang zum Hof. Inmitten von Pflanzenkübeln stehen Bobbycars, Roller und Kettcars herum, Förmchen liegen im Sandkasten, nur von den Kindern fehlt jede Spur. „Die sind bei Verwandten“, erzählt sie, „es sind noch Pfingstferien. Sonst ist im Innenhof immer sehr viel los.“ Ja, sie hat sich bewusst entschieden, mit ihrer Familie in die Innenstadt zu ziehen. Sie will nicht den Chauffeur für ihre drei Mädchen spielen, ihnen aber jede Möglichkeit offen halten. Das gehört für sie zu einem selbständigen Heranwachsen. „Überhaupt ist die gute Nachbarschaft das Wichtigste für mich“, betont sie. „Jeder hat einen Blick auf die Kinder.“

Erst im November und Dezember letzten Jahres sind alle eingezogen. Seitdem gedeiht die Hausgemeinschaft und im Innenhof trifft man sich wie auf einer italienischen Piazza. „Gestern abend haben wir hier spontan zusammen gegrillt“, erzählt das Ehepaar Kamali, das mit seinen drei Töchtern hier lebt. „Einer hat den Grill angeschmissen und nach und nach öffneten sich die Türen.“ Hanne Kamali fühlt sich an ihre Zeit im Studentenwohnheim erinnert, wo auch spontan zusammen gefeiert wurde. Die Verbindung von gemeinschaftlichen und privaten Räumen macht das Haus für die Bewohner wertvoll: Wer Menschen sucht, findet sie im Innenhof, auf der Dachterrasse, im Partykeller. Dort kann man ratschen, grillen oder sich zum Schwimmen verabreden. Wer Ruhe braucht, kann sich in seine vier Wände zurückziehen.

Selbst ist die Frau und der Mann

Aus dem Nichts entwickelt sich keine gute Nachbarschaft - auch nicht in der Johann-Fichte-Straße. Die Planungsphase war lang: fünf Jahre. Alle Beteiligten trafen sich regelmäßig - zwei- bis viermal im Monat. Zwischenzeitlich sprang die eine oder der andere ab, neue kamen hinzu. Jede wichtige Entscheidung mussten sie gemeinschaftlich treffen. Abgestimmt wurde über vieles: den Wettbewerbsentwurf, die Verlegung von Balkonen an die Südfassade und die Frage, ob Renate Geifrig eine Dusche nach Standard oder eine Badewanne nach eigenem Wunsch bekommt. Letzteres zeigte Renate Geifrig, dass selbstbestimmtes Wohnen ein mühsamer Prozess ist: „Das kostet einige Nerven, wenn deine Badewanne öffentlich ausdiskutiert wird.“ Bei der „Selbsthilfe“ haben sich die heutigen Hausbewohner am besten kennengelernt. Um Kosten zu sparen, haben sie gewisse Arbeitsleistungen wie das Streichen und Einziehen von Wänden selber in die Hand genommen - am Wochenende verstärkt die Männer und während der Woche vor allem die Frauen. Wenn man die festgesetzte Stundenzahl nicht ableisten konnte oder wollte, musste man die anderen ausbezahlen. „Die Selbsthilfe ist ein entscheidender Bestandteil der Genossenschaft“, erklärt Peter Schmidt. „Wir sind eine Selbsthilfevereinigung. Wir brauchen die eigenen Kräfte, und wir fordern sie auch ein.“

Es gab Pleiten

Ahmad Kamali, beruflich selbst in der Baubranche tätig, war im Gegensatz zu seiner Ehefrau sehr skeptisch: „Schließlich hatte die Gruppe keine Erfahrung, was das Bauen betrifft.“ Und in der Tat: Die von allen beklagte lange Planungs- und Bauzeit von fünf Jahren und der nachträgliche Konkurs mehrerer am Bau beteiligten Firmen wirft kein gutes Licht auf das Projekt. Die Gruppe musste zu sehr auf die Kosten achten, nur die billigsten Firmen kamen in Frage. Am Ende hat Ahmad Kamali seine Hilfe angeboten, um eine Verzögerung des Einzugs zu verhindern. Auch jetzt, nach der eigentlichen Fertigstellung, trifft sich Ahmad Kamali regelmäßig mit dem Architekten, um zum Beispiel nach einer Lösung für die noch nach Beton aussehenden Faserzementplatten der Fassade zu suchen.

Ob Renate Geifrig mit ihrer Behinderung eine für sie geeignete Badewanne erhält, ist nicht nur eine Frage innerhalb der Gemeinschaft, sondern auch der DIN-Normen. DIN-Normen wurden strengstens von dem Architekturbüro umgesetzt - auch dann noch, wenn sie für eine behindertengerechte Wohnung widersinnig sind. So brachte der Architekt in der Wohnung von Renate Geifrig die Türgriffe in behindertengerechter, die Fenstergriffe in normaler Höhe an. Ihre Frage an den Architekten blieb unbeantwortet: „Können Sie sich vorstellen, in eine Wohnung zu ziehen, in der Sie nur die Türen öffnen können?“

Solidargemeinschaft - auch finanziell

Schön billig - das ist die Vorstellung, die viele Menschen von genossenschaftlichen Wohnungen haben. Das ist so nicht richtig, denn eine Genossenschaft lebt von ihren Mitgliedern und braucht auch deren finanziellen Input. „Wir sind nicht die Heilsarmee“, betont Peter Schmidt. Möglich werden die WOGENO-Projekte erst durch eine Mischfinanzierung: freifinanzierte Wohnungen neben öffentlich geförderten, wobei letztere die Mehrheit bilden. Dies bedeutet auch: Die zukünftigen Bewohner müssen nicht nur Mitglied in der WOGENO sein - das „Eintrittsgeld“ beträgt 100 Mark, der Pflichtanteil 3.000 Mark -, sondern auch eine Einlage leisten. Diese richtet sich nach der Größe der Wohnung und dem Einkommen. Das Ehepaar Kamali zahlte zum Beispiel 70.000 Mark, die sie beim Auszug unverzinst zurückerhalten würden. Auch der Quadratmeterpreis ist nicht der billigste, wenn die erhoffte öffentliche Förderung wie bei Renate Geifrig ausbleibt - 18 Mark pro Quadratmeter, kalt. Wer aber die Münchener Wohnsituation kennt, wird aber die Vorteile dieser Wohnform leicht erkennen: Die Mieten steigen nicht, man kennt die Nachbarn, hat lebenslanges Wohnrecht und im Rücken eine Solidargemeinschaft, die einem notfalls auch finanziell unter die Arme greift.

Insgesamt sind Renate Geifrigs Wohnvorstellungen erfüllt worden. Sie und ihr Mann fühlen sich sehr wohl im Haus. Nur ein zweiter Aufzug muss bald her. Der jetzige Aufzug hat häufig Macken, was ärgerlich ist, wenn Patienten vor ihrer Praxis warten und sie im vierten Stock festsitzt. Auch die Kamalis sind rundum zufrieden. Ahmad Kamali konnte sich früher gut vorstellen, in ein Einfamilienhaus an den Stadtrand zu ziehen - ganz im Gegensatz zu seiner Frau Hanne, die immer schon in der Stadt bleiben wollte. Für sie ist der Traum vom Eigenheim „Augenwischerei“. Dass es sich lohnt, in der Stadt zu wohnen, bezweifelt keiner hier. Die Hausgemeinschaft hat es geschafft, die Anonymität der Stadt zu besiegen und im Innenhof ein grünes Idyll zu schaffen. Ahmad Kamali amüsiert sie skeptische Nachbarschaft der umliegenden Häuser, deren eigene Laubengänge leer gefegt und steril wirken. Mit einem Augenzwinkern bemerkt er: „Die sagen sich zweimal im Jahr Guten Tag.“

Anja Wirsing und Benedikt Fetsch